Plötzlicher Herztod

(Überlebter) Plötzlicher Herztod

Der plötzliche Herztod eines Familienmitglieds ist für die Angehörigen ein unfassbarer Schock, insbesondere, wenn sie davor noch nichts von einer familiären Erkrankung gewusst haben. Bei jungen Menschen ist ARVC / ACM für bis zu 20% der plötzlichen Herztodesfälle verantwortlich. Manchmal (in ca. 5% der Fälle) führt sogar tragischerweise erst ein plötzlicher Herztodesfall zu der Diagnose ARVC in einer Familie. Dies passiert nicht selten in einem sehr jungen Lebensalter.
In jeder Familie, bei der plötzliche Herztodesfälle unter dem 50. Lebensjahr aufgetreten sind, sollten sich Angehörige des Verstorbenen (Eltern, Geschwister, Kinder) unbedingt kardiologisch und ggf. genetisch untersuchen lassen, da ca. die Hälfte der Fälle von plötzlichem Herztod unter dem 50. Lebensjahr eine genetische Ursache haben. Dabei gilt: je jünger, desto wahrscheinlicher eine genetische Ursache. Bei einem plötzlichen Herztod im Alter von 1 – 10 Jahren ist die Ursache zu ca. 70% genetisch bedingt (meist sogenannte Ionenkanalerkrankungen oder Channelopathien, bei denen das Herz strukturell normal, aber der Herzrhythmus gestört ist), von 11 – 30 Jahren in ca. 35% und von 31 – 40 Jahren immer noch zu 25%. Eine sorgfältige Diagnostik ist deshalb essentiell und kann eine immense Bedeutung für ganze (Groß-)Familien haben. Durch die Identifizierung einer möglichen Genmutation in einer Familie können Familienmitglieder, die eine Mutation in sich tragen, identifiziert werden und so bereits vor dem Auftreten oder zu Beginn einer Symptomatik entdeckt und im Zweifelsfall behandelt werden.

Nicht weniger dramatisch für Familienangehörige, aber auch für die Betroffenen selbst, ist der sogenannte “überlebte plötzliche Herztod” – eigentlich ein Paradoxon. Damit ist gemeint, dass jemand einen Herzstillstand erleidet und somit eigentlich tot ist, aber durch Wiederbelebungsmaßnahmen wie Herzdruckmassage oder den Einsatz eines externen Defibrillators überlebt.

Die meisten ARVC-Patienten haben zumindest anfangs keine oder nur geringfügige Symptome. Manche sind aber trotzdem dem Risiko des plötzlichen Herztods ausgesetzt. Der plötzliche Herztod ist Folge einer Herzrhythmusstörung, bei der das Herz viel zu schnell und völlig chaotisch schlägt (Kammerflimmern). Innerhalb kürzester Zeit steht das Herz dann still. Dieser Herzstillstand ist nicht zu verwechseln mit einem Herzinfarkt, bei dem die Blutzufuhr zum Herzen unterbrochen ist. Oft werden die Rhythmusstörungen durch körperliche Anstrengungen ausgelöst. Nicht wenige ARVC-Patienten erleben die erste lebensgefährliche Rhythmusstörung während des Sports oder in der Erholungsphase bis zu einer Stunde nach dem Sport.

Eine vulnerable Phase für die potentiell tödlichen Rhythmusstörungen ist das Alter von 13 – 30 Jahren, im Schnitt treten sie mit Mitte 20 auf, grundsätzlich sind sie aber in jedem Lebensalter möglich. Bestimmte Genmutationen führen häufiger zum plötzlichen Herztod als andere. Lesen Sie mehr dazu auf der Seite zur Genetik.

 

(Überlebter) Plötzlicher Herztod und Sport

Bei jungen SportlerInnen ist die Wahrscheinlichkeit eines plötzlichen Herztods durch eine genetisch bedingte Herzerkrankung nicht unerheblich. Zwar zählen zu den häufigeren Ursachen die hypertrophe (obstruktive) Kardiomyopathie (HCM/HOCM), Koronaranomalien (z.B. Herzinfarkt) oder Myokarditis (Herzmuskelentzündung), aber auch ARVC trägt zu mindestens 4% zu den plötzlichen Herztodesfällen beim Sport bei, umso mehr, je jünger die Personen sind. Betroffen sind hier meist HobbysportlerInnen, auch wenn solch ein Ereignis im Leistungssport natürlich mehr öffentliche Aufmerksamkeit erregt wie z.B. der überlebte plötzliche Herztod des dänischen Fußballspielers Christian Eriksen vor aller Augen bei der Europameisterschaft 2021.
Mehr zu ARVC und Sport finden Sie hier.

 

Prävention des plötzlichen Herztods

Bei einer bestimmten Risikogruppe wird zur Vorbeugung des plötzlichen Herztods die Implantation eines Defibrillators (ICD = implantable cardioverter/defibrillator) empfohlen. Diese Entscheidung für oder gegen den Einbau eines Defis ist eine der wichtigsten Entscheidungen, die im Rahmen der Diagnosestellung nach einer sorgfältigen Risikoeinschätzung getroffen werden muss. Dies sollte möglichst durch einen ACM-/ARVC-erfahrenen Arzt geschehen. Die Entscheidung sollte gemeinsam von Arzt und Patient unter Berücksichtigung der Vor- und Nachteile eines ICD angesichts des individuellen Risikoprofils und der Lebenserwartung des Patienten getroffen werden.  Falls der Arzt keinen ICD empfiehlt, muss diese Entscheidung alle 1 – 2 Jahre überprüft werden, ob sich die Symptomatik ändert oder durch den Check-Up entdeckte neue Risikofaktoren dazu kommen. In Einzelfällen kann es sinnvoll sein, sich – wenn keine eindeutige ICD-Indikation vorliegt – einen tragbaren externen Defibrillator (AED) anzuschaffen.
Hier finden Sie mehr Infos zu Defibrillatoren.

Zum Schutz vor einem plötzlichen Herztod können Sie als ACM/ARVC-Patient aber auch – neben dem oben erwähnten Einbau eines Defibrillators – selbst beitragen. Es sind nämlich neben den von Ihnen nicht beeinflussbaren Risikofaktoren (s.a. unsere Seite zur Risikobewertung) noch andere Faktoren bekannt, die das Risiko für lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen erhöhen können. Als Trigger gelten:
– katecholaminerger Stress (körperliche Anstrengung oder psychischer Stress, der zur Ausschüttung von Katecholaminen wie Adrenalin führt)
– Myokarditis (Herzmuskelentzündung)
– Dehnungsreize/ mechanischer Stress auf den RV wie bei intensivem Training oder Leistungs-/Wettkampf-Sport

Der Verzicht auf Leistungs-, Wettkampf-, und Ausdauersport sowie systematischem Training ist daher von zentraler Bedeutung!
Leistungssportler haben ein doppelt so hohes Risiko für gefährliche Herzrhythmusstörungen und plötzlichen Herztod als Freizeitsportler oder Sportmuffel.
Leichter Freizeitsport ohne kompetitiven Charakter (dynamische Sportarten eher als isometrische Übungen) ist auch für ARVC-PatientInnen erlaubt.
Mehr zu ARVC und Sport finden Sie hier.

Weiterhin ist jede Art von physischem, aber auch psychischem Stress zu vermeiden. Das heißt, dass man z.B. im Zweifelsfall lieber nicht zur einfahrenden S-Bahn hecheln, sondern lieber in Ruhe auf den nächsten Zug warten sollte. Entwickeln Sie Techniken, wie stressige Situationen bereits im Vorfeld vermieden werden können. Was Methoden zur Entspannung und Psychohygiene angeht, verweisen wir auf unsere Seite zum psychischen Umgang mit der Erkrankung.

Auch eine Herzmuskelentzündung sollte unbedingt vermieden werden. Kurieren Sie daher Infekte gründlich aus, gehen Sie nicht verfrüht wieder arbeiten, treiben Sie während Infekten gar keinen Sport und senken Sie großzügig Fieber, z.B. mit Paracetamol.

 

Diagnostik beim plötzlichen Herztod

Wenn eine Person in jungen Jahren am plötzlichen Herztod verstirbt, sollten unbedingt umfangreiche Untersuchungen durchgeführt werden, um eine genetische Herzerkrankung nachzuweisen oder auszuschließen. Was “jung” in diesem Zusammenhang bedeutet, ist umstritten. Allgemeiner Konsens besteht bei einer Altersgrenze von 40 Jahren, das heißt jeder Herztodesfall unter dem 40. Lebensjahr sollte untersucht werden. Die meisten Ärzte halten aber eine Grenze von 50 Jahren für sinnvoll, manche sogar eine von 60 Jahren.

Empfohlene Untersuchungen nach einem plötzlichen Herztod junger PatientInnen
– eine Obduktion, das heißt die Untersuchung des Körpers und der Organe des Verstorbenen, mindestens aber die Untersuchung des Herzens
– eine histologische Untersuchung, die mikroskopische Untersuchung von Gewebeschnitten, insbesondere die detaillierte Untersuchung des Herzens)
– eine toxikologische Untersuchung zum Ausschluss von Giftstoffen, Medikamenten oder Drogen als mögliche Todesursache
– eine genetische Untersuchung des Verstorbenen (s.u.), wenn alle vorherigen Untersuchungen keine Todesursache ergeben

Material, das sich beim plötzlichen Herztod zur genetischen Untersuchung eignet
– Blut, entnommen bei der Obduktion, vom Notarzt oder ggf. von vorherigen Untersuchungen (wenn kein Blutröhrchen verfügbar ist, genügt es, Blut auf eine Papierkarte oder ein Baumwolltuch tropfen zu lassen und diese/s aufzuheben)
– Gewebe (Haut, Milz), am besten tiefgekühlt/eingefroren, aber auch paraffiniert, wenn Schnitte für mikroskopische Untersuchungen gemacht wurden; in Formalin fixiertes Gewebe ist nur bedingt, aber auch zur genetischen Untersuchung zu verwenden
– ggf. Zähne oder Knochen, wenn kein Blut oder Gewebe vorhanden ist (z.B. aufbewahrte Milchzähne des Verstorbenen)
– ggf. persönliche Gegenstände des Verstorbenen (z.B. Zahnbürste, Kamm, Rasierer, Handy) mit Hautschuppenresten, wenn kein Material zur genetischen Untersuchung mehr vorhanden ist
– ggf. Abstrich oder Speichelprobe vom Verstorbenen mittels Wattestäbchen (kann ggf. auch vom Bestatter entnommen werden)
nicht geeignet sind abgeschnittene Haare ohne die Haarwurzel

Genetische Untersuchung unklarer Fälle
Bei unklaren Fällen kann eine sogenannte Trio-Untersuchung durchgeführt werden, bei der nicht nur das Blut des/der Verstorbenen, sondern auch das Blut beider Elternteile genetisch untersucht wird. Dabei können Varianten, die beim Indexpatienten (dem ersten diagnostizierten Fall in der Familie, hier der/die Verstorbene) gefunden werden, mit denen der Eltern abgeglichen werden.

Hürden bei der Aufklärung von plötzlichen Herztodesfällen
– niedrige Obduktionsraten in Deutschland (ca. 1-2%)
– die Staatsanwaltschaft, die eine Obduktion anordnen müsste, prüft nur Fremdverschulden und nicht die Ursache eines natürlichen Herztods
– keine Kostenübernahme von Obduktion und Gentest bei Verstorbenen

 

Plötzlicher Herztod – wo finde ich Hilfe?

– in Spezialambulanzen, die auf die Diagnostik nach einem plötzlichen Herztod spezialisiert sind
– viele dieser Ambulanzen finden Sie im se-Atlas unter dem Stichwort ARVC oder anderen genetischen Herzerkrankungen (HCM/HOCM, DCM, Brugada-Syndrom, CPVT, Long-QT-Syndrom, Short-QT-Syndrom)
– bei unseren wissenschaftlichen Beiräten, die beratend zur Verfügung stehen
– beim Rescued Projekt zur Aufklärung des plötzlichen Herztods
– bei Psychologen, Psychotherapeuten oder spezialisierten Traumatherapeuten, die Sie bei der Bewältigung des Ereignisses unterstützen
– bei Selbsthilfeorganisationen
– bei Trauerbegleitern, z.B. beim Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V., die Trauerbegleitung für Eltern anbieten, deren Kind verstorben ist

 

Quellenangaben

Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz-und Kreislaufforschung e.V. (2023) – ESC Pocket Guidelines. Ventrikuläre Arrhythmien und Prävention des plötzlichen Herztodes (Version 2022)
Eckardt L, Bosch R, Falk V, et al.
Börm Bruckmeier Verlag GmbH, Grünwald
> ESC-Pocketleitlinie der DGK 2022

2022 ESC Guidelines for the management of patients with ventricular arrhythmias and the prevention of sudden cardiac death
Zeppenfeld K, Tfelt-Hansen J, de Riva M et al.
Eur Heart J. 2022 Oct 21;43(40):3997-4126
> Guideline der European Society of Cardiology 2022

Plötzlicher Herztod: Drogenintoxikation oder kardiale Erkrankung?
Schubert A., Damm M., Biller R.
Rettungsdienst, 44. Jahrgang, Nr. 5 (5/2021), S. 470-474
> Fachartikel (PDF)

Molekulare Autopsie: Verfrühte Todesfälle aufklären
Kauferstein S., Wolf C., Schunkert H., Bohle R. et al.
Dtsch Arztebl 2021; 118(12): A-624 / B-526
> Artikel im Deutschen Ärzteblatt 2021

Postmortale molekulargenetische Untersuchungen (molekulare Autopsie) bei kardiovaskulären und bei ungeklärten Todesfällen
Schulze-Bahr, E., Dettmeyer, R.B., Klingel, K. et al.
Kardiologe (2021)
https://doi.org/10.1007/s12181-020-00438-5

2020 APHRS/HRS expert consensus statement on the investigation of decedents with sudden unexplained death and patients with sudden cardiac arrest, and of their families
Stiles, M.K., Wilde, A.A.M.,Abrams, D.J. et al.
Heart Rhythm, Vol. 18, Issue 1, January 2021, Pages e1-e50
https://doi.org/10.1016/j.hrthm.2020.10.010

Sudden Cardiac Death in the Young
Bagnall RD, Singer ES, Tfelt-Hansen J.
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https://doi.org/10.1016/j.hlc.2019.11.007

Letzte Aktualisierung: 11.05.2023